Juniorprofessur für Theoretische Physikalische Chemie großer Moleküle
Forschung
Unser Forschungsgebiet ist die theoretische Chemie mit Fokus auf der Entwicklung und Anwendung effizienter Simulationsmethoden für große Moleküle, molekulare Aggregate und Moleküle in der kondensierten Phase. Unser Ziel ist es, mithilfe von Simulation Vorhersagen über die chemischen Eigenschaften großer Moleküle und funktioneller Materialien zu ermöglichen, welche mit herkömmlichen ab initio Quantenchemie-Methoden nicht möglich sind. Zu diesem Zweck sind wir besonders an der Entwicklung von spezialisierten Modellen interessiert, die eine optimale Genauigkeit in der Beschreibung spezifischer Zieleigenschaften bei gleichzeitig niedrigen Rechenkosten bieten. Durch Einbindung in Multilevel- und Multiskalen-Methoden werden anspruchsvolle Simulationen über verschiedene Zeit- und Längenskalen hinweg möglich.
Die Entwicklung von genäherten – meist semiempirischen – Elektronenstrukturtheorie- und Multiskalen-Methoden gehört zu den Hauptbereichen in unserer Gruppe. Zur Beschleunigung von besonders zeitaufwändigen Rechenschritten werden zudem herkömmliche Grafikprozessoren (GPUs) in Kombination mit entsprechend angepassten Algorithmen verwendet. Komplementär dazu nutzen wir maschinelle Lernmethoden, um die Simulationen weiter zu beschleunigen oder hinsichtlich ihrer Genauigkeit zu verbessern.
Die chemischen Fragestellungen, denen wir uns widmen, reichen von mechanistischen Studien chemischer Reaktionen und photochemischer Prozesse bis hin zu spektroskopischen Analysen großer Moleküle und molekularer Aggregate. Darüber hinaus entwickeln wir u.a. Simulationsmethoden zur Beschreibung von Ionentransportprozessen in Polymerelektrolytmaterialien. Wir möchten hier Verständnis der Schlüsselfaktoren erlangen, die auf molekularer Ebene eine schnelle Ionendiffusion ermöglichen, um somit zur Entwicklung leistungsfähiger Batteriematerialien beizutragen.
Unsere aktuelle Forschung wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen über das NRW-Rückkehrerprogramm gefördert.
Methoden der Elektronenstrukturtheorie für...
...die Erkundung potentieller Energieoberflächen
Mit dem Ziel, möglichst vorhersagefähige Quantenchemie-Simulationen auf einer herkömmlichen Desktop-Computern zu ermöglichen, entwickeln wir effiziente Elektronenstrukturtheorie-Methoden. Diese können dann zur Erkundung der potentiellen Energieoberfläche eingesetzt werden. Zu diesem Zweck ist die Familie der semiempirischen Extended-Tight-Binding (xTB)-Methoden entwickelt worden. Der bislang beste Vertreter GFN2-xTB hat sich binnen weniger Jahre zu einer der meistverwendeten semiempirischen quantenmechanischen (SQM) Methoden entwickelt. GFN2-xTB hebt sich von bisherigen Tight-Binding-Methoden durch die Berücksichtigung anisotroper Ladungsfluktuationsbeiträge zweiter Ordnung ab und ist zudem für alle Elemente bis hin zu Radon parametrisiert.
C. Bannwarth, S. Ehlert, S. Grimme
GFN2-xTB – An Accurate and Broadly Parametrized Self-Consistent Tight-Binding Quantum Chemical Method with Multipole Electrostatics and Density-Dependent Dispersion Contributions,
J. Chem. Theory Comput.
2019; 15:1652–1671.
DOI: 10.1021/acs.jctc.8b01176
Wir arbeiten derzeit an verbesserten SQM-Methoden. Ziel ist es, eine breitere Anwendbarkeit und eine verbesserte Genauigkeit zu erreichen. Darüber hinaus nutzen wir Grafikprozessoren (GPUs), um rechenintensive Schritte zu beschleunigen.
…die Simulation von photochemischen Prozessen
Photochemie ist in der Natur allgegenwärtig und essentiell beim Sehvorgang und der Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie. Meistens werden diese Prozesse mithilfe nichtadiabatischer Dynamiksimulationen simuliert. Dies stellt eine große Herausforderung an die zugrundeliegende Elektronenstrukturtheorie-Methode dar: Die Methode muss sehr recheneffizient sein, um die Simulation multipler Molekulardynamik-Trajektorien zu ermöglichen. Sie muss zudem statische Elektronenkorrelation erfassen, um konische Überschneidungen richtig zu beschreiben und ebenso dynamische Elektronenkorrelation berücksichtigen, um die relativen Energien der angeregten Zustände korrekt zu beschreiben. Während für die meisten Grundzustandsprozesse geeignete Elektronenstrukturtheorie-Methoden zur Verfügung stehen, gibt es bislang keine Methode, die alle diese Anforderungen zur Beschreibung der Photochemie erfüllt.
Kombinationen aus Dichtefunktional- und Wellenfunktionstheorie bieten einen interessanten Weg, um sowohl dynamische als auch statische Korrelation effizient zu beschreiben. Es gibt jedoch kein „Rezept“, wie man diese in optimaler Weise kombinieren kann. Wir haben kürzlich den hole-hole-Tamm-Dancoff-genäherten Dichtefunktionaltheorie (hh-TDA) Ansatz als eine mögliche Kombination dieser Ansätze vorgestellt. Hier geht man von einem Zustand mit zwei zusättzlichen Elektronen aus. Der Grund- und die angeregten Zustände werden dann durch die Vernichtung zweier Elektronen erzeugt. Diese Methode wurde erfolgreich eingesetzt, um z.B. die wellenlängenabhängige Photochemie des Azobenzols mithilfe von Simulationen zu entschlüsseln.
C. Bannwarth, J. K. Yu, E. G. Hohenstein, T. J. Martínez;
Hole-hole Tamm-Dancoff-approximated density functional theory: A highly efficient electronic structure method incorporating dynamic and static correlation,
J. Chem. Phys.
2020; 153:024 110.
DOI: 10.1063/5.0003985
J. K. Yu, C. Bannwarth, R. Liang, E. G. Hohenstein, T. J. Martínez;
Nonadiabatic Dynamics Simulation of the Wavelength-Dependent Photochemistry of Azobenzene Involving Excitations to the nπ* and ππ* Excited States
J. Am. Chem. Soc.
2020; 142:20680–20690.
DOI: 10.1021/jacs.0c09056
Trotz der bemerkenswerten Leistung der hh-TDA-Methode in der Simulation tiefliegender angeregter Zustände, ist die Methode limitiert: Es können nämlich nur Anregungen zum niedrigsten unbesetzten Orbital erfasst werden. Wir sind daher daran interessiert, Methoden zu entwickeln, die einerseits die Vorzüge von hh-TDA beibehalten aber zudem auch Anregungen in höher liegende Orbitale ermöglichen. Damit lassen sich dann Photochemie-Simulationen von vielseitigeren Systemen durchführen als mit hh-TDA. Darunter fallen z.B. Systeme mit mehreren aktiven Zentren, wie sie in schaltbaren Materialien auftreten können.
...die Elektronische Absorptions- und Zirkulardichroismus-Spektroskopie
Chirale Verbindungen sind in der Natur allgegenwärtig und bilden die Grundlage des Lebens. Daher sind Arzneimittel und viele bioaktive Moleküle oftmals chiral und ihre Synthese eines der Ziele in der asymmetrischen Synthese. Um die absolute Konfiguration chiraler Moleküle in Lösung zu identifizieren, können verschiedene spektroskopische Methoden wie die elektronische Zirkulardichroismus (ECD)-Spektroskopie eingesetzt werden. Unter Zirkulardichroismus versteht man die unterschiedliche Absorption von links und rechts zirkular polarisiertem Licht (siehe Abbildung unten links).
Durch den Vergleich von experimentell aufgenommenen und theoretisch simulierten ECD-Spektren kann die absolute Konfiguration von chiralen Molekülen identifiziert werden. Da ECD-Spektren sehr strukturabhängig sind, können sie auch zur Untersuchung von Faltungsprozessen von Proteinen verwendet werden. Wir haben in der Vergangenheit an der Entwicklung der vereinfachten Methoden der zeitabhängigen Dichtefunktionaltheorie (sTD-DFT) gearbeitet, die eine sehr schnelle Simulation solcher Spektren ermöglichen und nutzen diese weiterhin in Kollaborationen mit experimentell arbeitenden Gruppen.
C. Bannwarth, S. Grimme;
A simplified time-dependent density functional theory approach for electronic ultraviolet and circular dichroism spectra of very large molecules,
Comput. Theor. Chem.
2014; 1040–1041:45–53.
DOI: 10.1016/j.comptc.2014.02.023
S. Grimme, C. Bannwarth;
Ultra-fast computation of electronic spectra for large systems by tight-binding based simplified Tamm-Dancoff approximation (sTDA-xTB),
J. Chem. Phys.
2016; 145:054 103.
DOI: 10.1063/1.4959605
Derzeit arbeiten wir an Multiskalen-Ansätzen, um sTD-DFT und weitere vereinfachte angeregte Zustandsmethoden für große Molekülverbände und Aggregate mit mehreren tausend Atomen anwendbar zu machen.